Frauen: wenn die Krise die Gleichstellung erschüttert
„Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist eine wesentliche Voraussetzung zur Armutsminderung, zu Wirtschaftswachstum und zu sozialer Entwicklung.“ – das hat meine leider viel zu früh verstorbene Freundin, Frauenpolitikerin und Nationalratspräsidentin Barbara Prammer gesagt.
Corona hat uns in vielen Bereichen des Lebens erschüttert und zu Verwerfungen geführt. Als Politiker, der sich immer der Gleichstellung der Frau verschrieben hat, stelle ich mit großer Sorge fest, dass es zu einem großen Rückschritt bei der gesellschaftlichen Rolle der Frau während der Corona Krise gekommen ist. Ein weltweit beobachtetes Phänomen.
Corona ist weiblich – aber nützt vorallem Männern
Die Vereinten Nationen warnen schon jetzt davor, dass es Frauen sein werden, die besonders unter den wirtschaftlichen Folgen der Krise leiden. Laut den UN arbeiten fast 60 Prozent der Frauen weltweit im informellen Sektor, sie verdienen weniger als Männer, können deswegen weniger sparen und haben ein größeres Risiko, in die Armut abzurutschen.
Gleichzeitig waren es gerade Frauen, die das Leben, die kritische Infrastruktur am Laufen gehalten haben und einer Mehrfachbelastung (Stichwort Homeschooling) ausgesetzt waren. In der Europäischen Union etwa sind fast 80 Prozent der Beschäftigten im Gesundheitssektor weiblich. Auch Angestellte im Supermarkt, die weiter verkaufen, und Putzkräfte, die weiter alles sauber halten, sind zum großen Teil Frauen. Sie waren allein aufgrund ihrer Arbeit einem höheren Risiko ausgesetzt, sich mit dem Coronavirus zu infizieren.
70 Jahre Rückschlag bei Frauen-Politik
Die COVID-19-Pandemie bewirkt auf dem Arbeitsmarkt Beschäftigungseinbußen wie zuletzt vor rund 70 Jahren und einen massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit. Der Beschäftigungsrückgang der Frauen fällt zwar geringer aus als jener der Männer, konzentriert sich aber auf für die Frauenbeschäftigung bedeutende Wirtschaftsbereiche, vor allem auf Beherbergung und Gaststätten, Tourismus und persönliche Dienstleistungen. Auch der Anstieg der Arbeitslosigkeit ist unter Frauen geringer, betrifft aber eher Höherqualifizierte, während bei den Männern Geringqualifizierte stärker betroffen sind. Die Doppelbelastung durch Beruf und Betreuungspflichten, infolge von Home-Office oder einer Beschäftigung in den systemrelevanten Wirtschaftsbereichen, trifft Frauen stärker als Männer. In Österreich waren von den 640.000 Arbeitslosen Ende Juni 85 Prozent Frauen.
Wiener Frauen-Politik
Was die Wiener Frauenpolitik im Speziellen betrifft, so haben wir die Anliegen der Frauen immer ernst genommen und dementsprechend gehandelt. Mit Erfolg: Die Einkommensschere ist in Wien kleiner und hier verdienen Frauen besser als im Österreich-Durchschnitt. Auch die Frauenerwerbsquote ist die mit Abstand höchste aller Bundesländer.
In Wien soll jede Frau selbstbestimmt und unabhängig leben können. Deshalb unterstützt der Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds (waff) Frauen gezielt bei der Weiterbildung. Im Bildungsbereich fangen wir schon im Kindergarten an, geschlechtssensibel zu agieren. Mädchen stehen alle Bereiche der Berufsausbildung offen. Familie und Beruf werden in Wien tatsächlich vereinbar, weil die Kinderbetreuung immer bedarfsorientierter wird. Ein Beispiel dafür ist die Einführung der Gratis Ganztagsschule ab kommenden Herbst. Das entlastet vor allem Frauen, die ansonsten nach wie vor den Großteil der Kinderbetreuung übernehmen. Während der Bund eine 40%-Frauenquote in Aufsichtsräten von öffentlichen Unternehmen jetzt anstrebt, ist das in Wien längst erreicht.
Frauengesundheit
Eines der hässlichsten Gesichter von Corona war der Anstieg der häuslichen Gewalt gegenüber Frauen. Mit dementsprechenden Langzeitwirkungen. Der Bedarf an psychosozialer Betreuung ist grösser denn je – daher ist es mir wichtig, dieses Betreuungsangebot rasch auszubauen.
Darüber hinaus ist und bleibt Gewaltschutz ein wesentlicher Schwerpunkt der Wiener Frauenpolitik. Gesundheit ist auch ein soziales Thema. Ein Aspekt, den wir im Zuge der Corona Krise nicht vernachlässigen dürfen: die strukturelle Benachteiligung von Frauen nimmt wieder zu – das zeigt sich in geringeren Einkommen, finanzieller Abhängigkeit, erschwertem beruflichen Weiterkommen. Frauenerkrankungen werden nicht extra erforscht – Frauen haben weniger Ressourcen, um gesund zu leben. All diese Faktoren erfordern ein konsequentes Auftreten in diesem Bereich. Auch im Gedenken an Barbara Prammer und dem Weiterführen ihres politischen Erbes.